TangenteSt.Pölten

30.4.–6.10.2024

Architektur unter einem guten Stern

von Anna Soucek20.03.23

Festivalbauten zum Protzen, die anschließend wieder folgenlos verschwinden? Nicht mit Endboss. Anna Soucek stellt das Kollektiv aus Hannover vor: Gemeinsam entwirft Endboss bestechend kluge Bau-Alternativen und setzt auf Interaktion und demokratische Ertüchtigung. Demnächst auch in St. Pölten!

Credit: Romana Schroll
Credit: Romana Schroll

„Wir realisieren urbane Parallelwelten und erzählen dreidimensionale Geschichten, indem wir uns und andere bewegen. Weil die Stadt uns allen gehört. Dafür machen wir uns gerne die Hände schmutzig.“

Endboss

Diese gegen soziale Ungerechtigkeiten und menschenfremde Stadtplanung aufsässige, in Hannover ansässige Gruppe von Leuten aus der Architektur und Stadtplanung, aus der bildenden Kunst und der Literatur, aus den Sozialwissenschaften, der Ökonomie und vom Bau, wurde vom Christoph Gurk – dem Künstlerischen Leiter der Tangente – eingeladen, ein Festivalzentrum zu entwickeln. Eben nicht zu bauen, sondern tatsächlich zu entwickeln, im Austausch mit dem Festivalteam und vor allem auch mit den Bewohnern und Bewohnerinnen Sankt Pöltens; eine Zentrale, die aus den Bedürfnissen der Stadt heraus entsteht.

Credit: Sven-Julien Kanclerski
Credit: Sven-Julien Kanclerski
Credit: Elisabeth Groihofer
Credit: Elisabeth Groihofer

„Man kennt ja diese Festivalarchitektur“, sagt Robin Höning, Mitbegründer von Endboss, „da wird ein temporärer Pavillon aufgestellt, der nach dem Event natürlich wieder weg muss.“ Ein Event für den Sommer, inklusive architektonisch markanter Festivalzentrale mit Zirkuscharakter auf dem Hauptplatz des jeweiligen Ortes; und was bleibt, sind ein paar schicke Fotos und ein Haufen zu entsorgender Baumaterialien. Das spielt’s mit Endboss nicht. Vielmehr geht es darum, Orte zu erschließen, die weniger bekannt sind, und Prozesse anzustoßen, die beim Ende des Festivals womöglich gerade erst begonnen haben. Ivana Rohr: „Wir gehen vom Ort aus und vom Bestand, von vorhandener Baustruktur, und wenn der Bestand nichts hergibt, dann versuchen wir auf eine schlaue Art und Weise Material zu verwenden, das entweder schon wiederverwendet ist oder wiederverwendbar wird nach dem Festival. Festival-Architektur steht immer unter einem schlechten Stern, was Nachhaltigkeit betrifft – da wollen wir entgegenwirken. Nicht nur was das Material angeht, sondern wirklich auch, was die Interaktion mit den Leuten aus der Stadt angeht. Wir wollen einen Ort kreieren, der Nachhall hat.“

Ein Beispiel aus der Endboss-Praxis:

Das Festival Theaterformen in der niedersächsischen Stadt Hannover, wo das Kollektiv seinen Sitz hat. Für die Theaterformen 2021 haben Endboss einen ebenso kühnen wie visionären Plan umsetzen können. Ein Teil der vierspurigen, einer Autobahn gleichenden Hochbrücke wurde für die einmonatige Dauer des Festivals für den AutoVerkehr gesperrt und zum Schauplatz des Festivals umfunktioniert. Ohne die Stadt in eine verkehrstechnische Notlage zu bringen, wurde die Raschplatzhochbrücke, die sonst den durchziehenden Autos gehört, der Stadtgesellschaft gewidmet, für Performances, Konzerte, Zufallsbesuche, ungewohnte Blicke auf die Stadt, Partys und Gespräche. Es sei während des Festivals das Gesprächsthema der Stadt gewesen, so Ivana Rohr und Robin Höning; bis in die Bild-Zeitung habe es die markerschütternde Intervention in Hannover geschafft. Mit Stolz, so Ivana Rohr, haben die Endboss-Leute die vielen Diskussionen auf vielen Ebenen mitgemacht: „Jeder hatte plötzlich eine Meinung dazu. Ob das ‚okay ist, dass Kultur sich den Straßenraum einfach so nimmt‘, oder ‚ob die nicht einfach Theater machen, sollten im Theatergebäude, das die schon haben. Weil es hat wirklich niemand was gegen Kultur, gar nicht, aber ob das jetzt nötig ist...‘“

Credit: Romana Schroll
Credit: Romana Schroll

Bei Endboss-Projekten geht es nicht darum, aufzuregen oder Schlagzeilen zu produzieren: im Gegenteil – es geht darum, Dinge des Lebensraumes ganz unkompliziert und ohne normative Absegnung selbst in die Hand zu nehmen. Denn nichts weniger sind Architektur und Stadtplanung: die Gestaltung des unmittelbaren Lebensumfeldes, das Übernehmen von Verantwortung, Anpacken statt auf von oben verordnete Maßnahmen zu warten. „Es ist braucht ja auch keine Genies, um eine Stadt mitzugestalten“, sagt Ivana Rohr, „und es macht sogar Spaß. Wenn man weiß, wie es geht und welche Hebel man bedienen kann. Und ich verstehe das auch als demokratische Vorgangsweise oder als Demokratie stärkende Arbeit.“

Betrachten wir dazu die Ursprünge von Endboss:

Diese sind in Skateparks mit DIY-(„Do it Yourself“)-Charakter zu finden. Skateparks, die gemeinschaftlich errichtet und – auch ohne Anleitung – fortgebaut werden können. Für eine und mit einer Gesellschaftsgruppe, die weder Wahlrecht hat noch eigene Kaufkraft, und die daher sowohl von Politik als auch von Wirtschaftsvertreterinnen wenig beachtet bis ignoriert wird: Jugendliche. Die Endboss-Leute haben bereits einige Skateparks mitverantwortet; derzeit entsteht einer, der barrierefrei ist. Laut Legende ist auch der Gruppenname Endboss bei einem solchen Projekt entstanden – in Bolivien, als 120 Menschen aus unterschiedlichen Ländern mitgearbeitet haben, und als jemand in dem turbulenten Trubel nach einem Endboss, einem Letztverantwortlichen verlangte.

Für die Tangente in 2024 haben sich Endboss die beschauliche Stadt Sankt Pölten genauer angeschaut. Nicht nur auf der Karte, sondern mit mehreren Aufenthalten vor Ort, wie es ihre Art ist. Die Superiorität der Kulturmetropole Wien in geographischer Nähe ist dabei unerheblich: „Wir finden uns hier in Sankt Pölten gut zurecht, denn wir kennen das Schicksal ja. Hannover hat den Ruf, die Stadt zu sein, die keinen Ruf hat – die durchschnittlichste Stadt Deutschlands. Da fährt man nur durch und daran vorbei. Deshalb wissen wir von den Vorteilen einer solchen übersehenen Stadt: Man kann nur positiv überrascht werden.“

Die ersten Besuche in Sankt Pölten brachten ein inkohärentes Bild, „es ist so ein seltsames Mosaik“, sagt Ivana Rohr, „und es war für mich sehr schwer zu überschauen, was jetzt hier eigentlich wo in der Stadt ist. Das hat einen Moment gedauert.“ Abhilfe brachte eine Fahrradtour, sowie die Bekanntschaft mit Ortsansässigen. „In diesen Städten, wo es wenig Angebot gibt, findet man eine sehr engagierte Szene, die sich einsetzt, dass die Stadt schöner wird. Daher kommt auch dieses Engagement, aus dem die Tangente hervorgegangen ist; das kann man schon spüren.“

Und hier sieht Rohr auch wieder eine Parallele zum Festival Theaterformen in Hannover, „dass wir eben nicht eine Auftragsarchitektur machen, die am Ende steht, wo ein Intendant gesagt hat, ‚Ich hab jetzt hier mein Programm, könnt ihr mir bitte da eine Box drum herum bauen?‘, sondern dass es von Anfang ein Austausch ist.“ Ein Austausch mit den Festivalmacherinnen, den Künstlern, und aber auch ganz besonders mit der Stadt: was in ihr vorhanden ist, und was gebraucht wird. Auch wenn das Festival wieder vorbei ist.