TangenteSt.Pölten

30.4.–6.10.2024

Leben in die gute Stube bringen

von Thomas Mießgang20.03.23

Christian Philipp Müller will auf Einladung der Tangente den neu gestalteten Domplatz durch künstlerische Interventionen beleben und mit Bedeutung aufladen. Thomas Mießgang über den Schweizer Künstler und seine Arbeit.

Credit: Christian Philipp Müller
Credit: Christian Philipp Müller

Es gibt ein Drohnenfoto aus jüngerer Zeit, das die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des Domplatzes von St. Pölten visuell erlebbar macht: Aus der Vogelperspektive sieht man das Geschehen auf der rechteckigen Fläche, die von Häusern umschlossen ist. Vereinzelte abgestellte Autos erinnern daran, dass der Ort lange Zeit als innerstädtischer Parkplatz genutzt wurde, eine dicke Betonplatte deckt jene archäologischen Ausgrabungen ab, bei denen in den vergangenen zwölf Jahren die Gebeine eines lange aufgelassenen Friedhofs und Fundstücke aus römischer Zeit zutage gefördert wurden.

Gleichzeitig ist schon erkennbar, dass mit großer Energie an einer Neugestaltung des Platzes gearbeitet wird: Man sieht LKW und Beton-Mischfahrzeuge, einen Kran, Holzbauelemente sowie Abdeckplanen, die halb über ein sorgfältig markiertes Geviert gezogen wurden. Es ragt diagonal in das Territorium hinein.

Credit: Christian Philipp Müller
Credit: Christian Philipp Müller
Credit: Stefan Silvestri
Credit: Stefan Silvestri

Der Domplatz ist ein transitorischer Raum mit großer Geschichte und gleichzeitig die größte öffentliche Fläche in St. Pölten - neben dem Rathausplatz. Seit Stadtregierung und Diözese sich entschlossen haben, ihn autofrei zu machen und die Architekten Jabornegg/ Palffy mit der Neugestaltung beauftragt wurden, geht es darum, neue Nutzungen zu finden und ihn mit neuen Bedeutungen aufzuladen.  „Der Platz wurde in den letzten Jahren unglaublich bereinigt,“ sagt der Schweizer Künstler Christian Philipp Müller. „Das ist jetzt sozusagen die schöne Stube und soll per definitionem der Vorzeigeort von Sankt Pölten werden – aber da braucht es jetzt wieder Leben.“

Müller arbeitet im Rahmen einer Ästhetik, die nach den Bedingungen für die Entstehung von Kunst fragt: Er untersucht unter großem Rechercheaufwand die gesellschaftspolitischen, historischen und soziologischen Dimensionen von Orten, die er durch kluge gestalterische Interventionen durchaus inklusiv bespielen möchte. So auch den Domplatz von St. Pölten, der auf diese Weise nicht nur visuell, sondern auch mentalitätsgeschichtlich im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden soll: „Die Menschen, die diesen Platz aufsuchen, müssen ihn für sich reklamieren.“ Seine Arbeit bestehe nun darin, in den Rückspiegel zu blicken, um nach vorne sehen zu können.

Credit: Christian Philipp Müller
Credit: Christian Philipp Müller

Christian Müller hat in vielen Jahrzehnten Arbeit in und mit öffentlichen Räumen Strategien entwickelt, um sich ihm fremde Orte und Milieus sowohl topographisch als auch in der historischen Tiefe zu erschließen. Ein Referenzprojekt, das manche Ähnlichkeiten mit St. Pölten aufweist, war beispielsweise ´Balanceakt` bei der documenta x 1997 in Kassel: Dort nahm der Künstler den Platz vor dem Fridericianum zum Ausgangspunkt einer kritischen Rekonstruktion zweier Großprojekte von Walter de Maria („Vertikaler Erdkilometer“) und Joseph Beuys („7000 Eichen“), die zuvor im Rahmen der Kunst-Großveranstaltung beauftragt und realisiert worden waren. Müller erstellte mithilfe von Archivmaterial, Zeitungsberichten und Dokumentaraufnahmen ein archäologisches Konvolut, das den Friedrichsplatz als schichtenartige Ablagerung verschiedenster Nutzungen und gestalterischer Eingriffe erlebbar machte und entwickelte auf dieser Basis eine Performance.

In St. Pölten geht es nun zwar nicht um die Auseinandersetzung mit Kunst im öffentlichen Raum, doch die Methoden, mit denen Christian Müller einen ästhetischen Zugang zu dem ihm bislang fremden Ort schaffen möchte, sind vergleichbar: „Ich bin relativ früh ins Stadtmuseum gegangen und habe mir vom Direktor den Platz und seine Bedeutung innerhalb des urbanen Gefüges, ausgehend von der römischen Stadt, erklären lassen.“

Daraus habe sich der Startpunkt für das von ihm geplante künstlerische Projekt ergeben: Denn unter zahlreichen übereinander gelagerten epistemologischen Schichten habe der Stadtarchitekt die Überreste einer Kapelle und, noch tiefer, eines in Rundform angelegten römischen Bades gefunden. Diese durch die wechselhaften Geschicke der Stadt längst verschüttete Struktur soll nun wieder zum Vorschein gebracht werden – zumindest als Metapher. Denn Christian Philipp Müller möchte auf der Betonplatte, die den Domplatz versiegelt, die Originalform des römischen Bauwerks als Konstruktion aus recycletem Holz wiedererstehen lassen. Es gehe ihm allerdings nicht darum, die Funktion des Bades wiederzubeleben, erläutert der Künstler: „Ich möchte verschüttete Elemente aus der Geschichte nach oben bringen und die Frage stellen, was das mit heute zu tun hat.“

Credit: Christian Philipp Müller
Credit: Christian Philipp Müller

Die Schlüsselfigur für sein Projekt ist der heilige Florian, ein römischer Beamter, der zum Christentum konvertierte, und dann der erste österreichische Märtyrer wurde. Diese Mittlerfigur zwischen dem paganistischen Weltbild des römischen Reiches und der Glaubenslehre des entstehenden Christentums markiert für Müller jenen symbolischen Ort, an dem er die lokalen Verhältnisse zum Tanzen bringen möchte: „Ich möchte aus diesem mit Geschichte vollgesogenen Platz einen Ort der lustvollen Begegnung und des diskursiven Austausches machen und, um auch hier wieder die Metapher des Wassers ins Spiel zu bringen, ein Wechselbad der Gefühle ermöglichen.“

Für Christian Philipp Müller zählt im Kontext einer energetischen Aufladung des derzeit leergefegten Platzes vor allem die Vorstellung einer vorchristlichen joie de vivre, die er auch durch Umzüge und Rituale ohne religiöse Besetzung zelebrieren möchte. „Es geht mir einfach darum, einen menschlichen Maßstab für diesen ´neuen` Ort zu entwickeln - menschliche Anmessungen vorzunehmen, die aber von den Römern kommen.“