Awasqa Kayku,  2024

Am Glanzstoff-Wasserturm angebracht, entfaltet sich die Installation Awasqa Kayku in Form einer 15 Meter langen Textilskulptur, die Vergangenheit und Gegenwart analog und digital verbindet. Von mittelalterlichen Bannern inspiriert, lässt die Künstlerin die Stoffe, in deren Gewebe Muster und Glitches eingearbeitet sind, die gesamte Höhe des Turms hinabhängen. Die ausgefransten Enden der Stoffbahnen werden mit vor Ort gefundenen Steinen analog zur Shicra-Technik zusammengebunden. Bei dieser alten peruanischen Bauweise kommen in Textilfasern eingewickelte Steine zum Einsatz, die im Fundament eines Gebäudes Erdstöße ausgleichen sollen. Die in den kodierten Knoten enthaltenen Nachrichten können mit einer App gelesen. Mithilfe von Augmented Reality wird die Geschichte der Fabrik und des Kunststücks selbst erzählt. Das Textilgemälde dient zudem als Partitur für die begleitende Tonkomposition, inspiriert vom Wasser und der menschlichen Stimme. 

 

Wie das Leben selbst weist auch das Muster des dynamischen Designs Fehler und Auslassungen auf. Paola Torres Núñez del Prado unterstreicht die Bedeutung dieser scheinbaren „Störungen“, wobei sie auf ihre bildnerischen Erkundungen anhand von Textilien, Glitch Art und Klang zurückgreifen kann. Die Künstlerin holt diese Glitches aus dem digitalen Kontext heraus, indem sie die ökonomischen und sozialen Herausforderungen insbesondere in der peruanischen Kunst thematisiert. Eine Unterbrechung im Muster, so Torres Núñez del Prado, ist im Rahmen dieser textilen Arbeiten ein bewusster Akt, der den Weber, die Weberin von Parametrisierungen befreit. 

 

Awasqa Kayku bedeutet die Untersuchung einer wechselseitigen Verbindung, die in der andinen Quechua-Philosophie verankert ist. In diesem Werk, das gleichsam ein Appell der Künstlerin ist, das Erbe ihrer Vorfahren nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, greift sie den Glauben ihrer Vorfahren auf, dass die Realität ein ganzheitliches System von miteinander in Verbindung stehenden Wesen und Ereignissen ist – Raum und Zeit, heilig und profan, Schönheit, die in einem Fehler liegt. Dieses „kosmische (Ver-)Weben“ verbindet menschliche und nicht-menschliche Realitäten und bildet eine Zusammengehörigkeit, die als ayllu bezeichnet wird. Man wird zum aktiven, aber austauschbaren Faden eines Musters. Awasqa Kayku bedeutet „gewoben sein“ und „ein Muster sein“ – ein Muster, durch das sich manchmal auch Fehler ziehen. 

 

Die Arbeit befindet sich an einem früheren Wasserturm, einem Platz des Aufbewahrens, Überlebens, der Notversorgung, der aber auch eine Vorgeschichte hat, die  von brutaler Industrialisierung und Zwangsarbeit erzählt. Der diese Glitches enthaltende Stoff lädt dazu ein, ihn ähnlich wie einen Text zu lesen – es ist eine lange Geschichte des Verlusts, der Schönheit und der zyklischen Natur von Ordnung, Chaos und Struktur. Durch die vielversprechende Fusion von Material und metaphysischen Elementen regt Awasqa Kayku dazu an, sich über die komplexen Dynamiken des Lebens und seine Endlichkeit Gedanken zu machen.

© Jonas Pajari

Paola Torrez Núñez de Prado (1979, Lima) ist eine Künstlerin und Forscherin der Transdisziplinarität, die mit Textilassemblagen und Stickereien, Malerei, Klang, digitalen Medien, interaktiver Kunst und Video arbeitet. Durch den Einsatz sowohl zeitgenössischer als auch alter/ traditioneller Technologien erforscht sie die Grenzen der sensorischen Erfahrung, indem sie Konzepte wie Interpretation, Übersetzung und Falschdarstellung untersucht und gleichzeitig einen kritischen Blick auf die hegemoniale Geschichte von Technologie und Kunst wirft. Sie erhielt das Artists + Machine Intelligence Stipendium von Google Arts and Culture und Google AI. Ihre Werke befinden sich in den Sammlungen der Swedish Public Art Agency (2018), des Malmö City Museum (2017) und sie war die Gewinnerin des „Local Media: Amazon Ecoregion“-Wettbewerb von Vivo Arte.mov in Brasilien (2013).